DIE KUNSTGESCHICHTE UND DIE KUNST, DIE GESCHICHTE ZU SCHREIBEN
Emil Noldes politische Position wird von vornherein klargestellt: er hat sich eindeutig seit 1933 für Hitlers Reich positioniert und hat mit aller Kraft versucht, seine Kunst von der damaligen Regierung genehmigen zu lassen, obwohl dies ihm nie ganz gelang. 1937 wurden seine Werke er in der Ausstellung “Entartete Kunst” in München gezeigt und 1941 wurde er mit einem Arbeitsverbot belegt. Zahlreiche seiner Arbeiten wurden vom Staat beschlagnahmt. Doch trotz allem kämpfte er weiter, um von der Regierung als offizieller Künstler anerkannt zu werden. Er schrieb Briefe, um seinen Antisemitismus und seine Überzeugung von Hitlers politischem Programm zu beweisen. Manche Minister und mächtige Personen der NSDAP nahmen ihn unter ihre Fittiche und haben seine künstlerische Arbeit trotz der Kontroverse unterstützt. Aus diesem Grund konnte der Künstler trotz des Arbeitsverbots weiterhin gut und ohne finanzielle Nöte leben. Nach dem Krieg hat er auch kein Problem damit gehabt, die Beschlagnahme seiner Werke und seinen Berufsverbot als Beweis seiner Unterdrückung zu nutzen, um bei der Entnazifizierung nicht verhaftet zu werden. Er hat eine Legende aus seiner eigenen Geschichte gebaut und ab 1945 versucht, seine frühere Zustimmung zu nationalsozialistischen Ideen zu verstecken. Aus seiner Geschichte ist der Mythos eines Opfers des Nationalsozialismus entstanden, welcher heute noch für viele Kunstliebhaber*innen gültig ist. Wer das alles auf einmal in der Ausstellung im Hamburger Bahnhof zur Kenntnis nimmt, fühlt sich verwirrt und fragt sich, ob Emil Noldes politische Positionen (erst für die NSDAP, und später als Opfer des III. Reichs) seine wahren Überzeugungen reflektieren oder, ob sie reiner Opportunismus waren, was das Ganze nicht schöner machen würde. Gleich versteht man aber, dass diese Frage weder relevant ist, um seine Handlungen moralisch zu beurteilen, noch um seine Arbeit künstlerisch zu betrachten.
Die Ausstellung will in erster Linie diesen von Emil Nolde teilweise selbst gebauten Opfermythos dekonstruieren. Die Frage, die als roter Faden gilt, lautet: wie und inwiefern hat Noldes politische Position während des Kriegs seine künstlerische Arbeit beeinflusst?
Die Frage wird effizient und mit Klarheit beantwortet: Noldes Versuch, von Hitlers Regierung anerkannt zu werden, hat erstens einen starken Einfluss auf die Themen gehabt, die er gemalt hat. Schnell verschwanden von seinen Arbeiten alle biblischen Themen. Stattdessen bevorzugte er Landschaften, Blumen und Themen aus der nordischen Mythologie. Zweitens zeigen die ausgestellten Briefwechsel zwischen Nolde und seinen Verbündeten, dass er trotz des Arbeitsverbots und dank der Unterstützung von Ministern und leitenden Personen seine Gemälde weiter in Galerien ausstellen und verkaufen durfte. Sein politisches Engagement und seine guten Verbindungen haben ihm also erlaubt, sein Leben weiter zu finanzieren.
Dank der kuratorischen Texten und der Ausstellung von Noldes Schriften wird tatsächlich die Wahrheit über Noldes politisches Engagement und Opportunismus wiederherstellt. Dies ist sehr wichtig, da heute noch viele von uns Nolde nur als Opfer des Nationalsozialismus kennen und nichts von seinem politischen Leben vor 1945 wissen. Diese Unwissenheit oder Verblendung führte dazu, dass seine Werke bis heute noch als Symbol eines entnazifizierten Deutschlands gelten. Bis heute hängen manche seiner Werke in den Büro der deutschen Regierung, um ein so- und selbst benanntes Opfer zu rehabilitieren.
12.04.2019 bis 15.09.2019
Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin